RLW #34: „Bereitet euch auf Pogrome vor, ihr dummen Deutschen!“

Heute ist der 10. Januar 2016, willkommen bei „Russland letzte Woche“ Es wird wieder monothematisch. Thema heute: Was die Übergriffe in Köln in Russland auslösten – den Titel hat mir freundlicherweise Eduard Limonow ausgeliehen.


Die hämische Freude der russischen Medien könnte momentan nicht größer sein: Die Übergriffe in Köln stützen wie kaum ein anderes Ereignis der letzte Monate die russische Lieblingsthese vom Niedergang Europas. Terror in Paris? Schön und gut. Sexuelle Übergriffe auf Frauen? Blonde deutsche Frauen obendrein? Noch besser! Gesteuerte russische Onlineportale, deren Redaktionen sich niemals trauen würden, ein kritisches Wort über Putin sagen, sprechen vom Scheitern Merkels und verurteilen die „verspätete Berichterstattung“ in deutschen Medien – die armen deutschen Frauen! Als einer von Ramsan Kadyrows Kämpfern sich im vergangenen Jahr eine Minderjährige zur Frau nahm – eine waschechte Zwangsehe – hielten alle brav die Fresse und schrieben lieber darüber, welche traditionellen Tänze auf der Hochzeit getanzt wurden.

Nun werden nach Köln aus den unappetitlichsten Gestalten plötzlich überzeugte Frauenrechtler – anders als nach der Zwangsehe in Tschetschenien. Der Schriftsteller und Ex-Dissident Eduard Limonow stellt sich etwa als großer Feminist heraus – Hauptsache, es geht nicht um Frauenrechte in Russland. (Die Geschichte in Tschetschenien fand Limonow übrigens absolut in Ordnung.) Seine jüngste Kolumne über Köln war offenbar selbst für seine übliche Viertelseite in der „Iswestija“ zu krass, weshalb er sie bei „Svobodnaja Pressa“ veröffentlichte, einem Kreml-Laden ohne Printausgabe – das war freilich ein paar Tage bevor der Wochenrückblick beim Staatssender „Rossija“ das Wort „Pogrom“ und der Vergleich mit der „Kristallnacht“ normalisierte… Kurzfassung: Limonow hat das aktuelle Focus-Titelbild in Textform abgeliefert. Doch natürlich wäre Limonow nicht Limonow (und Russland nicht Russland), stünden nicht ein paar Dinge drin, die so in keinem seriösen deutschen Periodikum stehen würden. Angefangen mit dem Titel. Nix mit Wellen oder vollen Booten, es geht zur Sache!

„Bereitet euch auf Pogrome vor, ihr dummen Deutschen!“ So steigt Limonow ein. Was für ein Satz! Intensiver Speichelfluss in deutschen Redaktionen. Limonow fordert seine Leser auf,

„sich Migranten vorzustellen, schwarzäugig, dunkelhäutig, vom Alkohol angetrieben, wie sie blonde deutsche Fräuleins umzingeln wie Wölfe, und ihnen die Kleidung vom Leib reißen. Und kein einziger Wehrmacht-Opa mit einer Flinte in der Nähe.“

Klingt so, als wäre der 72-jährige Limonow gern einer von den Schwarzäugigen, mindestens, oder gleich der Wehrmacht-Opa mit der Flinte. Hand aufs Herz, das Letztere würde ihm eher zu Gesicht stehen. Wenn nicht der Opa selbst, so hätte jedenfalls die Polizei auf die Migranten schießen müssen, schreibt Limonow. Er erinnert sich an den norwegischen Massenmörder Anders Breivik, der vergeblich alle „gewarnt“ habe. Er hetzt ein bisschen gegen die Kölner Oberbürgermeisterin. Er nennt Flüchtlinge „Deserteure“, die in ihrem eigenen Land nicht für Ordnung sorgen wollten. Und den Deutschen ruft er zu:

„Bereitet euch auf Deutschen-Pogrome vor, ihr Deutschen. In diesem Kampf auf Leben und Tod könnt ihr entweder mannhaft werden, und mit übermenschlicher Anstrengung die Wölfe aus eurem Land verjagen, oder ihr werdet zertreten, und eure Frauen geraten in die falschen Hände. So ist die schreckliche Wahrheit. In Köln wurde nur der erste Akt der deutschen Nationaltragödie gegeben.“

Der Mann sollte doch Gastkommentare schreiben! In Deutschland. Genau wie die vermeintliche Vorzeige-Liberale Julia Latynina von Echo Moskwy, die sich in ihrem traditionellen fünfzigminütigen Monolog über die „Euro-Idioten“ ereifert, die „nicht-lethalen Massenterror“ auf ihrem Boden dulden. Sexuelle Angriffe auf einheimische Frauen seien eine „Geschichte von großem Ausmaß, europaweit organisiert, über Grenzen hinweg“. Hätten die Einsatzkräfte etwas gegen die Täter unternommen, hätte Oberbürgermeisterin Henriette Reker „alle Kölner Polizisten gefeuert, weil sie Rassisten sind“. Die Täter? Gehören deportiert, und sofern sie deutsche Staatsbürger sind, soll ihnen die Staatsbürgerschaft aberkannt werden, und so weiter, und so fort. Latynina wurde übrigens 2004 mit dem Bucerius-Sonderpreis „Freie Presse Osteuropas“ ausgezeichnet. Nein, ehrlich, sie sollten wir wieder nach Deutschland einladen.

All das wäre eine gelungenes Lustspiel, ginge es auch diesmal nicht darum, mitten in der Wirtschaftskrise den vermeintlich eigenständigen Pfad Russlands zu betonen – njet zu Multikulti! – und so von einheimischen Problemen abzulenken. Kadyrow in Tschetschenien? Lieber ignorieren (oder toll finden, wie Latynina). Die Kühlschränke sind leer, aber immerhin können unsere lieben Irinas und Swetlanas auf der Straße sicher sein. Für Schläge und sexuellen Missbrauch ist schließlich der Ehemann da. Ein „Gesetz zur Vermeidung häuslicher Gewalt“ hatte im vergangenen Jahr keine Chance in der Duma – obwohl in Russland Jahr für Jahr 40 Prozent der Gewaltverbrechen und 25 Prozent der Tötungsdelikte innerhalb von Familien stattfinden. In 80 Prozent der Fälle sind Frauen betroffen, aber das ist ja alles egal. 12.000 tote Frauen in Jahr durch häusliche Gewalt. Eine tote Russin alle 40 Minuten. Aus der Duma hieß es, in der „traditionellen Familie“ gebe es ohnehin keine Gleichheit von Eltern und Kindern oder Männern und Frauen. Der Kinderbeauftragte Astachow schrieb, der Terminus „häusliche Gewalt“ schüre nur Angst, die Familie sei der sicherste Ort.

Bitte kurz umschalten: Seht her, nicht Russland geht zugrunde. Sondern Europa.


Danke für die Aufmerksamkeit!

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Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin

RLW erscheint in Kooperation mit n-ost – Netzwerk für Osteuropaberichterstattung.