Heute ist der 8. Februar 2016, willkommen bei „Russland letzte Woche“. Die Themen: Russland auf vom Staat verordneter Diät, Parteiprogramm aus Abfall, und, unglaublich, die Gute Nachricht aus Russland!
Liebe Leserinnen und Leser, Sie werden sich wundern, aber manchmal sorgt sich der russische Staat selbst dann um seine Bürger, wenn sie nicht im Ausland leben! Obendrein, wenn es dem Fiskus in Zeiten niedriger Ölpreise ein paar zusätzliche Rubel einbringt. Die russische Regierung arbeitet laut dem Wirtschaftsblatt „Wedomosti“ an einer Sondersteuer für „schädliche Lebensmittel“. Was schädlich ist? Vielleicht Waren mit hohem Fett- oder Zuckergehalt, vielleicht E-Zigaretten, bestimmt aber Palmöl. Die Regierung soll eine 30-Prozent-Steuer planen, die palmölhaltige Produkte wie Margarine oder Gebäck, und alles, was so genannte Milch enthält auf einen Schlag um 15–20 Prozent verteuern könnte. Putin soll das bereits abgenickt haben.
Ja, Freunde, Russland ist eigentlich eine große Familie, und Putin will für seine Lieben nur das Beste. Deswegen denkt die Regierung auch darüber nach, die Alkoholsteuer zu senken. Die Logik dahinter: niedrigere Steuern = mehr legale Produktion = mehr Steueraufkommen. Sicher, in Russland gibt es natürlich das Problem mit gepaschtem Wodka, aber müssen wir alle deswegen mehr von dem guten, legalen Wodka trinken? Wenn’s die Regierung sagt. Ich freue mich auf meine neue palmölfreie und wodkareiche Diät. Hab’ gehört, sie senkt das Risiko von Massenprotesten. Die soll es bittschön keine mehr geben.
Bei seiner Wodkareform hat Putin bestimmt die 1990er vor den Augen, jene Ära von Panschwodka und Kommunisten-Demos. Nur wenige Dinge hielten damals das Land zusammen. Ganz oben auf der Liste: „Die verrückten Händchen“, eine Sendung von Andrej Bachmetjew und Timur Kizjakow im „Pervyi Kanal“. Die beiden brachten den Fernsehzuschauern bei, wie man aus Unrat nützliche Dinge bastelt – survival skills für die chaotische Transformationszeit! Oder Upcycling, bevor es das Wort gab. Okay, die „Händchen“ waren weniger eine eigenständige Sendung, eher Rubrik einer Kizjakow-besucht-Promifamilien-in-ihrer-Küche-Show (Achtung, Hair-Metal-Frisuren). Aber das sind Nebensächlichkeiten!
Die Bastelshow blieb 18 Jahre im Programm und war unheimlich populär, Bachmetjew und Kizjakow bekamen tonnenweise Fanpost und immer neue Bauanleitungen Für Nützliche Dinge aus Unrat – wie den Lichtschalter aus einem alten Lippenstift, den Kleideranhänger aus einem Tannenbaum oder das Windrad aus Plastikflaschen – ich sollte wohl sagen, „aus einfachen Plastikflaschen“. Schließlich brachte die Sendung dieses geflügelte Wort hervor.
Nun kommt Kizjakow seine Phantasie und Anpassungsfähigkeit zugute. Der TV-Liebling wurde nämlich für den „Obersten Rat“ der Kreml-Partei „Einiges Russland“ vorgeschlagen. Dieses Gremium soll die Strategie der Partei bei den diesjährigen Dumawahlen ausarbeiten – also auch ein Wahlprogramm. Die russischen Internetnutzer haben die Nachricht vom politischen Engagement des verrückten Bastlers, nun, mit einer Menge Ironie aufgenommen.
Тимур Кизяков вошел в состав высшего совета «Единой России» pic.twitter.com/ZqushPurLE
— поллстер-пицца! (@SimonKostin) February 6, 2016
„Heute basteln wir uns ein Parteiprogramm aus Konservatismus, Lügen und Putin-Memes“
Импортозамещение на марше
Тимур Кизяков – Очумелые ручки – вошел в руководство Единой Россииhttps://t.co/L9sC0V71YI pic.twitter.com/HYcLZJ8Z50— Скреп духа (@skrepdust) February 7, 2016
„Hallo zusammen, heute versuchen wir, Russland mit einem Kleiderbügel und einer Wäscheklammer aus der Krise zu führen.“
„Einiges Russland“ gerät mal wieder unter Druck und holt sich ein paar externe Sympathieträger. Leider nichts Neues angesichts der ganzen Sänger und Schauspieler in der Duma. Aber bevor wir uns mit einer deprimierenden Nachricht verabschieden, liebe Freunde der skurrilen Russland-Meldungen, es gibt, trara, eine GUTE NACHRICHT AUS RUSSLAND! Knappe fünf Wochen nach der letzten! Ist das ein neuer Rekord?
Das Parlamentszentrum wird nicht gebaut! Das Parlamentszentrum? Ein in fetten Öl-Jahren geplanter gemeinsamer Sitz der Duma und des Föderationsrates. Das volle Programm: ein Architekturwettbewerb mit monströsen Entwürfen, einer hässlicher als der andere,, inklusive der geplanten Umsiedlung der „Nachtwölfe“, die ihren Biker-Club auf künftigem Parlamentsgelände haben, etc. pp. Und jetzt? Alles liegt auf Eis. Richtig, kein Geld mehr da. Der Ölpreis und so.
Ein geplantes Architekturverbrechen, nicht begangen aus Geldmangel – kann es eine bessere Nachricht geben aus Moskau, dieser architektonisch verschandelten Stadt? Vielleicht. Aber nicht diese Woche.
Danke für die Aufmerksamkeit!
Ich bitte um Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und unter pavel.lokshin@gmail.com.
Russland letzte Woche gibt es als Blog und Newsletter.
Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin
RLW erscheint in Kooperation mit n-ost – Netzwerk für Osteuropaberichterstattung.