RLW #1: Duma gegen Nachtwölfe / Zivildienst in der Waffenfabrik / Sowjetdissident gegen freie Medien

Heute ist der 24. Mai 2015, willkommen bei „Russland letzte Woche“. Die Themen:

  • Drogenprozess wegen Mohnschnecken / Vorgezogene Duma-Wahlen? / Zivildienst in der Waffenfabrik
  • Duma gegen “Nachtwölfe” / Dissident will freie Medien abschaffen / Gemüsebeet statt Blümchen
  • Zahl der Woche – 21,9 Millionen Rubel
  • … und ein garantiert unterhaltsames Web-Video made in Russia.


Eine ganze Familie aus dem südrussischen Woronesch kommt – so sieht es aus – bald wegen eines Drogendelikts ins Gefängnis. In ihrem kleinen Café verkauften die Poluchins neben Hotdogs und hausgemachtem Apfelkuchen selbst gebackene Mohnschnecken. Potzblitz, Mohnschnecken! Also quasi Drogen. Da kann man doch ein hübsches Verfahren stricken.

An der Stelle der Staatsanwaltschaft wäre ich auch misstrauisch geworden. Mohn? Da muss doch Opium im Spiel sein. Und tatsächlich: Der Familie Poluchin wird vorgeworfen, Mohn mit Opiumlösung bestrichen und an Drogenabhängige verkauft zu haben. Der Vater sitzt seit zwei Jahren in U-Haft, die Tochter kam nach einem Jahr Gefängnis auf Kaution frei. Ein Zeuge, der selbst wegen Drogenvergehen im Gefängnis sitzt, verspricht seine Aussage zurückzunehmen – für einen kleine finanzielle Zuwendung. Eine andere Zeugin beteuert, falsch ausgesagt zu haben.

Und so weiter, und so weiter. Wer glaubt, in diesem Land gäbe es noch ein funktionierendes Justizsystem… Verdächtig an dieser Geschichte, die “Nowaja” seit Jahren mitverfolgt: Die Familie lagerte tatsächlich vier Tonnen Mohn für ihr Café – aber das ist selbst in Russland noch legal.


Die Duma-Wahlen 2016 sollen auf September vorverlegt werden. Vielleicht. Möglicherweise. Das haben russischen Medien Duma-Abgeordnete und Quellen in der Präsidialadministration bestätigt.

Was der Kreml damit bezweckt, ist unklar. Vielleicht geht es um Kosteneinsparungen – die Duma-Wahlen könnten am “vereinheitlichten Wahltag” stattfinden, zusammen etwa mit Gouverneurswahlen. Kritiker vermuten, der Kreml wolle so die Opposition schwächen – wenn die Wahlkampagne im Sommer stattfindet, kriegen die datschenbesessenen Russen nichts von Nawalny & Co. mit.

In jedem Fall wäre die Verschiebung der Duma-Wahlen ein trickreicher Vorgang, der mindestens die Auflösung der Duma erfordern würde, oder im schlimmsten Fall eine Verfassungsänderung. Wir sind gespannt.


Weniger als 1 Prozent der russischen Wehrpflichtigen entscheiden sich für den Zivildienst, doch offenbar ist das dem Verteidigungsministerium zuviel. Absolventen von technischen Studiengängen sollen die Möglichkeit bekommen, ihren Zivildienst – Achtung – in der Waffenindustrie zu absolvieren. Für dieses Modell hatte sich zuerst ausgerechnet der russische Rektorenverband ausgesprochen.


Nein, die “Nachtwölfe” ziehen nicht immer mit den russischen Parlamentariern an einem Strang. Jetzt müssen sie ihr Hauptquartier für den geplanten Neubau des russischen Parlaments räumen. In Mnjowniki, einem Randbezirk westlich der Moskauer Innenstadt, baut die Duma – unter anderem auf dem Gelände des “Nachtwölfe”-Clubs – bis 2019 das “Parlamentarische Zentrum”. Die Duma und das russische Oberhaus befinden sich dann in einem Gebäudekomplex. Wie es aussehen wird, soll bis Ende Juni entschieden werden.

“Putins Rocker” finden den Umzug natürlich nicht so geil, aber um es mit Alexander Saldostanow alias Chirurg zu sagen: “Wenn’s die Heimat braucht, ziehen wir eben um.” Aber zähneknirschend. Details des Arrangements zwischen der Duma und den “Nachtwölfen” wurden nicht bekannt, Saldostanows Immobilien auf dem Gelände sollen rund 2,6 Millionen Euro wert sein.


Erinnert sich noch wer an Eduard Limonow (ENG)? Sowjet-Dissident, Skandalschriftsteller mit proletarischen Wurzeln und Querfrontler mit guten Kontakten nach Frankreich since before it was cool. Gorbatschow gab ihm seine sowjetische Staatsbürgerschaft zurück, Putin warf ihn in den Knast, aber nicht für lange. Dutzende seiner jungen Freunde aus der verbotenen “Nationalbolschewistischen Partei” (ENG) sind immer noch im Gefängnis.

Blutiges Putin-Regime also, Eddie müsste doch strikt dagegen sein? Nun ja, Herr Limonow ist nicht so einfach gestrickt. Vor vier Jahren demonstrierte er noch gemeinsam mit Nemzow für Versammslungsfreiheit, heute schreibt er Kolumnen für die regierungsnahe “Iswestija”. Und das mit Mord an Nemzow? War ’ne Weibergeschichte. Wer sich fragt, wann der alte nun endgültig durchgedreht ist: Limonow hat sich damals für das Verbot von Auslandsadoptionen in die USA ausgesprochen, lag also voll auf Regierungslinie. Aber zurück in die Gegenwart: Die Krim-Annexion und “Noworossija” findet Limonow super, dass der Kreml hingegen regierungskritische Medien toleriert, ist für ihn unverständlich.

“Feindliche Sender” wie “Echo”, “Kommersant-FM”, “RBC” und “Nowaja Gaseta” müsse man schließen. Ein paar dutzend Journalisten, die ideologische Zersetzungsarbeit leisten, sollten ihre russische Staatsbürgerschaft verlieren und nach Tschechien abgeschoben werden, um bei “Radio Free Europe” zu arbeiten. Zuletzt lässt sich der Sowjet-Dissident Limonow zu einem unbeschreiblichen Statement hinreißen, das ich in seiner Gänze wiedergeben muss:

“Ich wiederhole, die Dissidenten schafften es, das Sowjetimperium mit ihrem Genöle und Geraschel der “Chronik” zu Fall zu bringen. Hey, ihr im Kreml! Wacht auf!”


A pro pos datschenbesessene Russen: Offenbar haben sie in dieser Saison mehr Gemüsesamen gekauft als Blumensamen. Um die Hälfte mehr. Sagt jedenfalls Andrej Tumanow, Vorsitzender der Organisation der russischen Gartenbauer (und Duma-Abgeordneter für “Gerechtes Russland”). Der Sozialdemokrat, konservativer Jude, und ja, leider stv. Lenta.ru-Chefredakteur Pawel Prjanikow (gebe zu, ich mag ihn) ist schon einen Schritt weiter – er hat sich sechs Hühner angeschafft.


Zahl der Woche – 21,9 Millionen Rubel

Rund 400.000 Euro, so viel verdiente im Rubel-Krisenjahr 2014 Elwira Nabiullina, Chefin der russischen Zentralbank – grob so viel wie EZB-Präsident Draghi oder Bundesbank-Chef Weidmann (DEU). Im Vergleich zu 2013 stieg ihr Gehalt um 80 Prozent. Nabiullinas Stellvertreter Sergej Schwetzow freut sich auf eine 3,5fache Gehaltserhöhung – auf 77,2 Millionen Rubel oder 1,4 Millionen Euro. Warum der Stellvertreter mehr verdient als die Chefin? Na, er ist doch ein Mann. Und kein komischer Tatare.


Das Video aus Russland

Die Käse-Problematik lässt uns bei “Russland, letzte Woche” einfach nicht los. Immerhin ist sie schon in der NZZ angekommen (DEU), aber wir sind naturgemäß schon viel, viel weiter und präsentieren diese Woche einen recht unterhaltsamen Clip, der mit Italien, Käse und russischem Repressionsapparat zu tun hat. Die “Salumeria/Fromaggeria Don Giulio” verkauft nämlich nach wie vor italienische Produkte. Nun ja, die meisten Käsesorten werden inzwischen in Russland hergestellt, aber das hängt der Laden nicht an die große Glocke. Stattdessen spielt “Don Giulio” mit dem Reiz des Verbotenen und lässt ein hübsches Viral produzieren – mit einer Werbetafel, die uniformierte Passanten erkennt. Und dann? You’ll never guess.

Und die gute Nachricht? Ja glaubt ihr denn, es gibt jede Woche eine? Nein.


Danke für die Aufmerksamkeit!

Ich bitte um Feedback und Anregungen aller Art unter fb.com/p.lokshin, @lokshin und pavel.lokshin@gmail.com.

Bis nächste Woche!

Pavel Lokshin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert