Heute ist der 21. Juni 2015, und das ist Russland, letzte Woche:
- Kirche will endlich Krieg
- Putin, der Chuck Norris der Geschichtsdidaktik
- Sachar Prilepins garantiert unschwule Modekollektion
- Bilder der Woche: Moskau, das wahre Venedig des Nordens
Christentum steht für Frieden. So sind wir’s in Mitteleuropa gewohnt, jedenfalls nach 1945. Doch in Russland verhält es sich etwas anders, allein schon aus geographischen Gründen. Einen neuen Beweis dafür hat der einflussreiche Erzpriester Wsewolod Tschaplin geliefert.
Nun, dieser nicht gerade mit Bartwuchs begnadeter Herr muss seine relative Bartlosigkeit ja irgendwie kompensieren. Was ist schon ein orthodoxer Priester ohne Bart? Nichts, eben. Außer er erzählt wirres Zeug. Tschaplin fordert zum Beispiel eine russlandweit geltende Kleiderordnung für Frauen, die – magically – Vergewaltigungen verhindern soll. So ist er, der offizielle Sprecher des Moskauer Patriarchats.
Was Tschaplin neulich vom Stapel ließ, stellt seinen gewohnten Wahnsinn allerdings in den Schatten. In einer von diesen endlosen, im Grunde unhörbaren Echo-Moskau-Debattensendungen sagte er Folgendes:
“Wenn die Gesellschaft relativ friedlich und ruhig lebt, wenn sie satt ist, kann sie zwei oder drei Jahrzehnte lang säkular leben. Aber Frieden währt nicht lange. Und jetzt wird er, Gott sei dank, auch nicht lange währen. Warum ich “Gott sei dank” sage? Eine Gesellschaft, in der es zuviel vom satten, ruhigen, problemlosen und komfortablen Leben gibt, ist eine gottverlassene Gesellschaft. Diese Gesellschaft kann nicht lange überleben. Gott mischt sich in die Geschichte ein und schickt uns Leiden, sie lassen jene zur Besinnung kommen, die sich zu sehr an das ruhige und komfortable Leben gewöhnt haben. Man wird anders leben müssen… Es sollte besser einen Krieg geben.”
Der liberale Protodiakon Kurajew schlug daraufhin vor, für die Vermehrung der Witwen und Waisenkinder zu beten – man darf davon ausgehen, dass Tschaplin die Meinung seines Chefs, des Patriarchen Kirill wiedergibt. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Seit Jahren diskutiert Russland über eine angedachte Reihe von Geschichtsbüchern, die Schülern ein Bild russischer Geschichte ohne innere Widersprüche vermitteln sollen: Ein Land, ein Volk, eine Geschichte. So will es Wladimir Putin. Und trotz offensichtlicher, wohl unüberwindbarer Hürden will dieser Chuck Norris der Geschichtsdidaktik noch lange nicht aufgeben.
Unter Historikern sorgt sein Vorstoß allerdings regelmäßig für Heiterkeit. Zuletzt hat der Historiker Kirill Kobrin in der Vedomosti dargelegt, welche Probleme auf die Autoren der “vereinheitlichten Geschichtsbücher” zukommen. Zunächst wäre ein kapitaler Fehler der Sowjets zu vermeiden: Sie veröffentlichten einst die mehrbändige “Geschichte der UdSSR von prähistorischer Zeit an”. Das warf natürlich die Frage auf, ob Genosse Neandertaler die “Prawda” las, und wenn ja, wie gründlich. Erste Lektion: Nicht zu weit zurückblicken.
Aber selbst wenn man die Fehler der Sowjets vermeidet, bleibt die Warägerfrage. Was tun mit Rurik, dem mythischen Gründer des ersten russischen Staates? Sollte er als effektiver Manager aus Skandinavien eingebürgert werden? Oder waren Rurik und die Waräger vielleicht doch nicht so wichtig für die Ewige Russische Nation? Was tun mit der orthodoxen Kirche? Wenn Zarentum und Kirche stets eine harmonische Einheit bildeten – frei nach Putins Ideologie – wie sind die gewaltsamen Reformen Peter des Großen zu erklären? Die Geschichte der orthodoxen Kirche liest sich Jahrhunderte vor dem Roten Terror wie ein Martyrologium.
Unbedingt zu vermeiden wäre die nähere Beschäftigung mit der Regierungszeit des Nikolaus I. Pawlowitsch, “vorrangig, um historische Analogien zu vermeiden”, wie Kobrin sarkastisch anmerkt. Da besteigt also einer eher zufällig den Thron, so wie ihr-wisst-schon-wer, unterdrückt die Opposition, holt einige ehemalige Liberale in den Staatsdienst, versucht ein paar Reformen, gibt aber vorzeitig auf. Dann brechen in der Nachbarschaft Revolutionen aus, der Mann gerät darüber derart in Panik, dass er jeden Realitätssinn verliert, die Daumenschrauben weiter andreht, den Krimkrieg verliert und schließlich stirbt – unter ungeklärten Umständen.
Ach Kobrin! Was für ein unterhaltsamer Text! Wenn möglich, bitte lesen.
Da ist er wieder, Sachar Prilepin, Schriftsteller, zweifelsfrei heterosexueller Mann, und vielleicht mein Lieblings-Nationalist. Seit einiger Zeit wissen wir, dass er einen “konservativen” Privatsender starten will. Doch die Fernsehfront reicht den “Konservativen” anscheinend nicht. Der starke Mann plant nun eine eigene Modekollektion.
Prilepin tut sich mit einem “Brand” namens #RPS zusammen, das steht für “Russian Power Systems”. Im Angebot gibt es zum Beispiel T-Shirts mit einer Topol-M drauf, einer mobilen Startrampe für nuklear, wie es so schön heißt, bestückte Interkontinentalraketen. Oder mit dem sowjetischen “Space-Shuttle”-Konkurrenten “Buran”.
Die Patriotismus-Experten von “Russian Power Systems” boten auch ein T-Shirt-Design an, wo statt des “Buran” der “Space Shuttle” zu sehen war. Inzwischen ist das T-Shirt ohne Erklärung aus dem Internet-Shop verschwunden. Das zeigt ganz plastisch, wie wichtig Nationalstolz den Jungs wirklich ist.
Unserem Großschriftsteller sind solche Kleinigkeiten freilich egal. Die geplante Kollektion soll “in den Herzen der Russländer Liebe und Stolz zu ihrer Heimat erwecken!” – wie es in der Pressemitteilung von “Russian Power Systems” heißt. Russländer? Wer dieses elende Jelzin-Wort benutzt, der hat eh zero Nationalismus-street-cred, aber weiter, weiter. Schon bald soll es die ersten Prilepin-Produkte geben, Fans der Tom-of-Finland-Mode sollten sich allerdings nicht zuviel versprechen. Ich persönlich hoffe auf Dmitrij Rogosin: Military-Look, das wär’ doch was.
A pro pos Rogosin: vorzügliches Profile von ihm bei Meduza. Ein bisschen schade, dass die Kollegen solche Background-Stücke nicht ins Englische übersetzen, stattdessen Empörungs-clickbait. So it goes.
Wenn ich Freunden in Deutschland erzähle, dass in Moskau bei Regen und Tauwetter alles unter Wasser steht, will mir niemand glauben. Das kann doch nicht sein, Hauptstadt, europäische Metropole, und so weiter. Gestern ging in Moskau die monatliche Regenmenge nieder. Die Folge: eine Überflutung. Hier geht ein Mann schwimmen in einer Gasse in der Moskauer Innenstadt. Eine Person sitzt im strömenden Regen auf dem Dach ihres Autos. Eine Metro-Station wurde überflutet und musste vorübergehend geschlossen werden. Und hier gibt’s eine spannende Dokumention: Bus wird zum Amphibienfahrzeug. Also, beim Moskau-Besuch im Sommer lieber Gummistiefel einpacken.
Das ist ebenfalls vorgefallen: eine mehrtägige Waffenmesse bei Moskau in einem Panzer-Erlebnispark. Darüber habe ich für Spiegel Online etwas aufgeschrieben.
Danke für die Aufmerksamkeit!
Ich bitte um Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und unter pavel.lokshin@gmail.com.
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Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin