RLW #10: Urbanismus / Rechtsextreme / Werbung

Heute ist der 26. Juli 2015 und das ist Russland, letzte Woche:

  • Mordor schönreden, oder Russlands neuer Urbanismus
  • Rechtsextreme gehen in den Untergrund
  • Video: Sexismus in der russischen Werbung


Vor einigen Jahren haben die Russen ein neues Wort gelernt: Urbanismus. Hippen Mittelklasse-Moskauern kommt dabei der neue Gorki-Park in den Sinn, der noch vor wenigen Jahren kaum mehr war als eine verdreckte Tagesstätte für Junkies. Vielleicht denken sie an die neuen Fußgängerzonen im Stadtzentrum oder an leerstehende Fabriken, die großzügige Investoren völlig uneigennützig in Museen und minimalistische Co-Working-Spaces verwandeln. Die konservative Publizistin Natalja Androsenko protestiert. Der neue russische Urbanismus sei kein zeitgemäßer Ansatz der Stadtplanung. Einen lebenswerten urbanen Raum für alle wolle niemand. Es sei ein Leichtes, hübsche Parks oder Radwege in den Wohlstandsbezirken zu fordern,

”dafür sucht man jene politischen Urbanisten vergebens, die sich wirklich für die Probleme der Großstädte interessieren – Probleme, die Moskau nach und nach in die Provinz exportiert, wie die monströse Hochhaus-Bebauung… Diese 30-Etagen-Türme haben Moskau praktisch schon umgebracht.”

Bald zweieinhalb Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion regiert in Russland immer noch gute alte Platte mit zweistelliger Etagenzahl. Gerade in Moskau werden ganze Stadtteile aus dem Boden gestampft, die ungefähr so lebenswert sind wie ein Schrebergarten zwischen ICE-Strecke und Autobahn. Zur Hölle, hunderte dieser Wohnblocks stehen tatsächlich an der Autobahn! Fantastischer Ausblick, wenn irgendwo im Umland wieder eine Chemiefabrik brennt.

Nun sieht Androsenko die Zeit gekommen, um dieses unsägliche Sowjeterbe hinter sich zu lassen. Nicht Chemiefabriken, sondern unmenschliche Stadtplanung. In Europa werde nicht mehr so gebaut, höchstens in China oder Türkei. Und Russland, davon sind die schlaueren russischen Nationalisten überzeugt, soll Europa sein und nichts anderes. Ambitioniert, ambitioniert, stehen dem architektonischen Europäertum doch Interessen von Großinvestoren im Weg, die für menschenwürdige Bebauung nichts übrig haben. Niemand stellt sich gegen das Kapital. Selbst in Kleinstädten im Moskauer Umland errichten die geldgierigen Turmbauer ihre Termitenhügel:

“Aus depressiven postsowjetische Kleinstädten wurden keine bequemen Lebensräume – damit hätte man im Zeitalter unseres ökonomischen Wohlstands rechnen können. Stattdessen wurden sie zu Ansammlungen von Ghetto-Türmen, die städtischen Raum verpesten. Die verpestete Umwelt wird sich natürlich rächen: Mit schlechter Luft, Kriminalität, dem Zerfall von sozialen Strukturen und zwischenmenschlicher Kommunikation. Aber sie wird sich nicht an den Investoren rächen, nicht an Bürgermeistern und nicht an uns, sondern an unseren Kindern. Wir werden nichts von Springbrunnen und Radwegen haben, wenn wir nicht unter Baumwipfeln radeln, sondern von einem Mordor-Turm zum nächsten.”


Russlands militante Rechtsextreme ziehen sich aus der Öffentlichkeit zurück. So fasst die liberale “Vedomosti” den neuen Halbjahresbericht des Analysezentrums “Sowa” zusammen. Die Forscher des Zentrums befassen sich seit mehr als zehn Jahren mit Rechtsextremismus. Dieses Jahr heißt ihr Fazit: Weniger Massenaktionen, mehr Trainings für Nah- und Messerkampf – sie sind an die Stelle der politischen Aktionen und Pogrome gegen Gastarbeiter getreten.

Die Tendenz ist nicht nur im Hinblick auf die Ukraine beunruhigend. Längst geht es nicht nur um die Vorbereitung von Kämpfern für die “Volksrepubliken” im Donbass. Eines Tages sollen die Kämpfer in Russland zum Einsatz kommen – mit Betonung auf “eines Tages”, denn rechtsextreme Gewalt geht in Russland seit Jahren zurück.

Der Staat hat den Druck auf militante Nationalisten erhöht und sie zum Teil in die eigene Agenda einbezogen, wie die Führungsspitze von “Antimaidan”. Die Tendenz des Vorjahres setzt sich fort: Regierungskritische Nationalisten, die pro-ukrainische Positionen vertreten oder sogar aufseiten der Ukrainer im Donbass kämpfen, werden zunehmend marginalisiert.

Die Prognose der Extremismusforscher ist ihrer Forschernatur gemäß wenig optimistisch. Der staatliche Druck auf Rechtsextreme werde diese nicht schwächen, sondern die Machtbalance zugunsten der regierungstreuen Extremisten verschieben. Klingt glaubwürdig.


Russland ist für Männer da. Okay, das ist eine extrem vereinfachte und wohl auch falsche Deutung der Geschlechterverhältnisse in Groß-Moskowien. Hierzulande ist alles viel komplizierter als man im Westen annimmt. Dennoch: Ich komme auf keinen anderen Gedanken, wenn ich solche Werbespots sehe. Mit den plattesten Klischees wird in Russland alles vermarktet: Cracker, Mobilfunkverträge, Joghurts, Würstchen. Noch stärker als in Deutschland ist die Welt der Werbung in Russland durchsetzt mit Geschlechter-Codes – so kommt es mir jedenfalls vor.

Im Würstchen-Werbespot übernehmen junge Frauen klassische “Männeraufgaben” wie Einmachgläser öffnen oder Nägel einschlagen. Nicht, weil das Aufgaben sind wie alle anderen, sondern weil ihnen ein MANN fehlt. Im Hintergrund läuft ein bekannter Sowjetschlager. Es geht in dem es um den Frauenüberschuss: Nicht jedes Mädchen, das gern tanzt, kriegt auch einen Tanzpartner. Auf zehn Mädels kommen eben “laut der Statistik” nur neun Jungs.

Dann zeigen die Würstchenmacher eine junge Frau, die – juhu – einen Mann abgekriegt hat. “Ein guter Mann ist Gold wert”, sagt die Stimme aus dem Off. “Tischt ihnen Leckeres auf, mit Würstchen aus Tscherkisowo.” Zurück an den Herd, und dazu noch Vollzeit arbeiten, dann wird alles gut.


Danke für die Aufmerksamkeit! Und immer brav genderneutral kochen!

Ich bitte um Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und unter pavel.lokshin@gmail.com.

Russland, letzte Woche gibt es als Blog und Newsletter.

Bis nächste Woche! Pavel Lokshin