RLW #12: Wladimir Sorokin / käufliche Parteien / falsche Putin-Bücher

Heute ist der 9. August 2015 und das ist Russland letzte Woche, ein eklektischer Rückblick auf die Vorgänge im östlichen Riesenreich:

  • Wladimir Sorokin wird 60: Prophet wider Willen
  • Käufliche Parteien als Weg zur Demokratie
  • Bücher über Putin, die niemand schrieb, cause why the hell not


Am Freitag ist Wladimir Sorokin 60 Jahre alt geworden. Der sowjetische Underground-Autor verwandelte sich nach Putins Machtantritt wider Willen in Russlands wichtigsten Ideologen, denn der russische Staat – das glauben viele – arbeitet sich seit Jahren an Sorokins bizarren Zukunftsvisionen ab. Sein jüngster Roman ist übrigens vor ein paar Tagen in deutscher Übersetzung erschienen.

Okay, noch sind in Moskowien keine hundsköpfigen Mutanten zu sehen, chinesische Techno-Magie oder halluzinogene Tellurium-Nägel lassen auch auf sich warten. Der russische Einheitsstaat ist noch nicht in feudale Schreckensherrschaften zerfallen. Für die sind durchgeknallte imperiale Nostalgiker in den “Volksrepubliken” zuständig. Doch die Mauer, die Russland vom verkommenen Westen abtrennen soll, wächst Tag für Tag.

Putins Ukas über die rituelle Lebensmittelvernichtung trat einen Tag vor Sorokins Geburtstag in Kraft – ein Geschenk? Käseköpfe mit dem Bulldozzer plattwalzen, ganz offensichtlich eine Hommage an den großen vaterländischen Schriftsteller. Putin sollte Sorokin ein Grußtelegramm schicken und sich für die “weisen Ratschläge” des Schriftstellers bedanken, meint Alexej Schaburow.

Ich glaube nicht, dass Putin sich von Sorokin inspirieren ließ. Seine PR-Leute und der ausgebildete Chemiker Sorokin (übrigens Experte für die russischen Sakralfluide Öl und Gas) gingen bloß in den selben Untiefen auf Tauchgang. Wer sich lange genug unter die Oberfläche der russischen Kultur begibt und unbeschadet wieder auftaucht, bringt oft ziemlich unappetitliche Kreaturen mit. Ja, ein paar Flossen weniger, ein paar Zähne mehr. Aber das Tier guckt so vertraut.

Lenta.ru hat mit Sorokin ein lesenswertes Interview geführt. Sorokin spricht viel über seine Jugend, zieht über das moderne Moskau her (“Keine Stadt, sondern ein Staat im Staate”), teilt seine Sympathie für Berlin mit (“Eine angenehme, geräumige Stadt, ruhig, und wie New-York offen für alle”) und macht uns keine Hoffnung auf Demokratie in Russland (“Die Mentalität des Volkes kann man nicht schnell verändern… Wir in Russland dienen seit Jahrhunderten dem Staat.”) Viele Fotos von jugendlichem Sorokin auch, wichtig für Fans.

Alles gute, Wladimir. Hilf uns jetzt, den Besten Wodka zu finden! Ein episches Videodokument: Sorokin verkostet Wodkasorten, blind, dann wird gerankt.


Russland orientiert sich bekanntlich stets an europäischen Vorbildern. Alles wie in Europa, Freunde! Wie wär’s mit einer schlüsselfertigen Partei? Auch so eine europäische Tradition. Parteien, das muss man wissen, kann man in Russland (wie im übrigen Europa) natürlich kaufen. Für 250.000 Dollar. Ich rede jetzt nicht von Spendenaffären! Wie das geht, erklärt der “Polittechnologe” und ehemaliger Einiges-Russland-Wahlkämpfer Wjatscheslaw Smirnow. Der Mann hat ein paar, ehm, privatrechtliche Gebilde gebunkert, die er von den Duma- und Regionalwahlen loswerden möchte.

“Eine Partei ist zu aller erst eine juristische Person wie eine NGO oder eine Firma, es dauert bloß länger, sie zu registrieren. So wie andere fertig registrierte Firmen verkaufen, bieten wir Parteien zum Verkauf. So tragen wir zur Entwicklung der Parteienvielfalt in Russland bei. Oft tun wir’s ehrenamtlich.”

Klingt erstmal furchtbar. Aber vielleicht hilft’s wirklich? Zum Preiszettel der Partei als Rechtsform kommen bis zu drei Millionen Dollar an Kampagnenkosten pro Kandidat hinzu. Es soll in Russland ja Menschen mit vorbildlichem Führungszeugnis geben, die einfach so viel Geld haben.

Über den aktuellen Stand des politischen Systems macht sich der Wjatscheslaw “Wir tragen zu Parteienvielfalt bei” Smirnow keine Illusionen:

“Es ist kein Geheimnis, dass man für die regionale oder die Staatsduma kandidiert, um für die Interessen eines Standes oder eines Unternehmens Lobbyarbeit zu machen. Politik machen in unserem Land vielleicht zehn Leute, alle anderen bedienen fremde Interessen. Die Staatsduma ist kein Ort für Politik. Und die Parteien unserer Ständegesellschaft sind eine Parteien im westlichen Sinne. Sie sind bloß Instrumente, keine politischen Massenbewegungen.”


A pro pos alteuropäische Traditionen: Ein Verlag in Moskau hat einfach mal Bücher “über Putin” drucken lassen, mit Namen westlicher Politiker (Henry Kissinger) oder Russlandkorrespondenten (Edward Lucas vom Economist und Luke Harding vom Guardian) auf dem Umschlag. Natürlich haben die vermeintlichen Autoren noch nie von ihren Werken gehört. “Putin verstehen?” “Ohne Putin”? More like ohne Autor.

Das Geschäftsmodell hat Alexey Kovalev aufgedeckt: Man bezahle 50 Dollar Honorar an hungrige Studenten, die klauen überall im Internet Artikel zusammen, die dann weitere hungrige Studenten übersetzen. Buchumschlag drum, Buch fertig, für sechs Euro verkauft. Und wenn der Autor sich beschwert? Ach, der weiß davon nichts. Und selbst wenn: Wer will schon in einem wilden Land gegen irgendwelche Buchpiraten prozessieren?

Andererseits: Ganz normales Vorgehen für die europäische Buchbranche. Vor ein paar Jahrhunderten.


Danke für die Aufmerksamkeit!

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Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin