RLW #18: Deprimierende Regionalwahlen / Teflon-Gouverneur / Sportminister singt

Heute ist der 20. September 2015 und das ist Russland letzte Woche. Themen diesmal:

  • unabhängige Opposition scheitert in der Provinz,
  • ein möglicherweise rachsüchtiger Gouverneur und – nicht alles schlimm! –
  • ein singender Sportminister.

Enjoy, or more like, read it and weep. 


Der große Wahltag in der russischen Provinz liegt heute eine Woche zurück. 21 Regionen wählten ihre Gouverneure, in elf Regionen wurden – zum Teil parallel zur Gouverneurswahl – die regionalen Parlamente gewählt. Ein großes Ding! Aber niemand redet mehr darüber. Warum? Weil sich nichts getan hat. Die Kreml-Partei “Einiges Russland” stellt nach wie die stärkste Kraft in den regionalen Parlamenten und natürlich auch alle Gouverneure – abgesehen von Irkutsk, wo ein Kandidat der kremltreuen Kommunisten den Amtsinhaber vom “Geeinten Russland” in den zweiten Wahlgang zwang. Einer Woche also: Kreml gegen Kreml! Es bleibt spannend.

Die unabhängige Opposition geht aus der Wahl geschwächt hervor. Die Wahlplattform PARNAS – für die auch der Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalny Wahlkampf machte – wurde nach großem Hickhack nur in der Region Kostroma nordöstlich von Moskau zur Wahl zugelassen. Die Kremlkritiker holten 2,88 Prozent. Die Gäste aus Moskau gingen in der altrussischen Provinz ziemlich chancenlos ins Rennen, trotzdem übte der Staat enormen Druck auf sie aus: Der Wahlkampfleiter sitzt bereits seit Ende Juli in Haft, weil er beim Sammeln von Unterschriften für die Wahlzulassung gegen das Datenschutzgesetz verstoßen haben soll. Kurz vor der Wahl erklärte der staatlich kontrollierte Fernsehsender NTW die Oppositionellen noch schnell zu amerikanischen Agenten. Am Wahltag suchte die Polizei im Wahlstab – ungelogen – nach einer Leiche. Ohne Erfolg.

Angesichts der Duma-Wahl 2016 ist die Message klar: Wir wissen, dass ihr keine Chance habt. Und wir treten euch trotzdem in den Dreck, mit aller Kraft. Versucht es besser nicht.


Wo wir schon bei Gouverneurswahlen etc. pp. waren – eine viel wichtigere Geschichte mit einem Gouverneur in der Hauptrolle könnte sich bald zuspitzen. Vor fünf Jahren haben Unbekannte Oleg Kaschin, einen der prominentesten russischen Journalisten, halbtot geschlagen – nachdem er in einem Blogkommentar den Gouverneur der Region Pskow im Nordwesten Russlands “beschissen” nannte. Andrej Turtschak, Sohn eines Petersburger Kollegen von Wladimir Putin, nahm Kaschins Worte gar nicht gut auf. Kaschin weigerte sich, den Kommentar zu löschen – und lag zwei Monate später mit eingeschlagenem Schädel auf dem Bürgersteig.

Die Geschichte wurde so groß, dass der damalige Präsident Dmitri Medwedew den Fall unter “besondere Aufsicht” stellen ließ – das hat sich offenbar gelohnt, denn inzwischen ist der versuchte Mord an Kaschin so gut wie aufgeklärt. Die unbekannten Schläger haben sich als Security-Mitarbeiter einer Firma herausgestellt, die Turtschaks Familie gehört. Zwei sitzen in U-Haft, einer versteckt sich in Belarus. Den Gouverneur selbst, dessen Verwicklung in den Fall… nun, jedenfalls einer kursorischen Untersuchung bedürfte, lässt die Staatsanwaltschaft einfach in Ruhe. Keine Befragung. Der Gouverneur ist seit zwei Wochen auf Tauchgang und spricht nicht mit Medien. Nicht einmal sein Pressesprecher will etwas sagen.

Kaschins Anwalt glaubt nicht an eine objektive Untersuchung durch das Ermittlungskommitee und plädiert dafür, den Fall dem FSB zu übergeben. Und Turtschak schweigt. Genau wie die Ermittler. Wie wird’s nun weitergehen? Lässt der Kreml Turtschak fallen? Der Fall spaltet die Eliten, meint jedenfalls die liberale “Wedomosti”. Einerseits ist Turtschaks Familie nah genug an Putin dran, damit der Gouverneur verschont werde, andererseits gehört der Turtschak-Clan nicht zum inneren Zirkels des Präsidenten. Der Kreml könnte die Turtschaks ohne große Nebenwirkungen absägen.

Tja, ein schönes Beispiel: Solche Spekulationen stehen in einer wirtschaftsliberalen Qualitätszeitung, wenn sie in einem Land ohne öffentliche Politik erscheint.


Aber genug von diesem ganzen ernsten Kram. Zum Ausgleich für die schwere Russland-Kost ein Autotune-Video. Es singt: der russische Sportminister Witali Mutko, berühmt für seinen Einsatz für die WM und, let me speak from my heart, sein sensationelles Englisch.


Danke für die Aufmerksamkeit!

Ich bitte um Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und unter pavel.lokshin@gmail.com.

Russland letzte Woche gibt es als Blog und Newsletter.

Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin