Heute ist der 26. Oktober 2015, und das ist „Russland letzte Woche“. Die Themen: Russlands Image und seine Verbesserung, selbstfahrende LKWs auf kaputten Straßen und die historischen Wurzeln der russischen Käsemisere.
Auf die Gefahr hin, dass dieser Newsletter irgendwann Wladislaw Inosemtsew letzte Woche heißen könnte – aber, ehm, der Starökonom aus RLW #20 hat wieder zugeschlagen. Jaja, der mit dem Vorschlag zur Legalisierung von Korruption. Die aktuellen Inosemtsew-Vorschläge sind zwar weniger extravagant. Sein Markenzeichen – das Wunschdenken – bleibt aber bestimmend: Jetzt geht es darum, das Image Russlands zu verbessern, und zwar mit Initiativen von globaler Strahlkraft.
So könnte Moskau zum Beispiel eine UNO-Konferenz über „humanitäre Interventionen“ und „Desouveränisierung“ anregen, damit dieses elende Problem sich drauflos abspaltender Territorien international gelöst werden kann. Russland könnte, wie Inosemtsew es formuliert, „Kosovo gegen Südsudan“ eintauschen, was auch immer dieser Tausch dem Land gebracht hätte. Weiterhin sollte Russland zur Speerspitze der atomaren Abrüstung werden und damit China und USA eins auswischen. Was noch? Eines der korruptesten Länder weltweit könnte die Verdammten, eh, die Staaten dieser Erde zum Endkampf gegen Korruption aufrufen. Schließlich herrschten auch in den USA und in Europa Rahmenbedingungen, die Korruption ermöglichten, die heutzutage per se international sei, so Inosemtsew. Wie schon beim letzten Mal kann ich Doktor Inosemtsew nur zustimmen. Let’s put lipstick on a pig.
A pro pos lipstick on a pig. Wir brauchen mal wieder etwas Innovation! Warum also nicht selbstfahrende LKWs entwickeln? In einem Land, wo schlechte Straßen zur nationalen Identität gehören und die Löhne der Fahrer so niedrig sind, dass autonome Autos etwa 2100 zur ökonomischen Notwendigkeit werden könnten – wenn wir Glück haben? Aber gut, Innovation ist wichtig. Medwedew ist ja auch noch da und will was zu tun haben. Und es geht ja nicht um Fernstraßen irgendwo in der Provinz, die sich im Sommer eher für Schlammbäder denn für Gütertransport eignen, sondern um die moderne Mautstraße M11 zwischen Moskau und St. Petersburg. Dort sollen ab 2018 auf einer Sonderspur autonome KAMAZ-Laster rollen. Kostenpunkt des geplanten Projekts: etwa 60 Milliarden Rubel, also etwa 880 Millionen Euro. Das Verkehrsministerium schweigt bislang zu konkreten Zuschüssen.
Das östliche Riesenreich hatte schon immer ein Käse-Problem, schreibt Swetlana Kusnetsowa in „Kommersant-Wlast“. Weil Käse im Westen als eine kulinarische Selbstverständlichkeit gilt, klingt es erstmal unvorstellbar, dass ein Land ganz ohne eine einheimische Käsetradition auskommen könnte. Doch Russland gehörte bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zu den gänzlich käselosen Ländern. Käse im westeuropäischen Sinne gab es einfach nicht. Die Russen hatten gar nicht erst ein Wort dafür – das moderne Wort „syr“ bezeichnete damals Quark.
Für exotische Milcherzeugnisse aus Westeuropa interessierten sich nur die Eliten, angefangen mit dem Modernisierungs-Kaiser Peter. Der Europa-Fanboy ließ 1720 Milchkühe aus den Niederlanden nach St. Petersburg bringen, damit in seiner neuen Hauptstadt Käse nach holländischer Art hergestellt werde. Den Aufstieg der russischen Käseproduktion sollte Peter allerdings nicht erleben. Mehr als hundert Jahre nach seinem Tod spielten einheimische Käsesorten keine Rolle auf dem russischen Markt, erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde in Russland hergestellter Käse zu einer Massenware. Über seine Qualität verloren Experten kein gutes Wort, so wie der Autor eines Kochbuchs aus der Zeit um 1900:
„Dieser ‚russische‘, einheimisch hergestellte Käse ahmt den Käse aus der Schweiz, Holland, England und Italien nach … ein gutes Frühstück für die Dienerschaft.“
Eine beruhigende Phantasie: in Russland ist doch alles wie immer.
Danke für die Aufmerksamkeit!
Ich bitte um Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und unter pavel.lokshin@gmail.com.
Russland letzte Woche gibt es als Blog und Newsletter.
Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin
RLW erscheint in Kooperation mit n-ost – Netzwerk für Osteuropaberichterstattung.