Heute ist der 14. März 2016, willkommen bei „Russland letzte Woche“. Die Themen diesmal: Rohstoff-Exporte und ihr Kollaps, russische Feierwut und… Telegonie?
Liebe Leserinnen und Leser, nach zwei durchweg monothematischen Ausgaben wird es Zeit für Russland-Absurditäten und ein wenig historische Spekulation. Also los geht’s! Das russische Energieministerium hat kürzlich eine besorgniserregende Prognose veröffentlicht: in zwanzig Jahren könnte Russlands Ölproduktion um die Hälfte fallen, weil das Land nicht genug neue Ölfelder erschließt. Was passiert dann mit den russischen Exportgewinnen? Lieber nicht darüber nachdenken. Die Zahlen des Energieministeriums nimmt der Wirtschaftswissenschaftler Dmitri Prokofjew zum Anlass, über die Geschichte der Rohstoff-Schocks in Russland nachzudenken, und zwar angefangen mit dem Mittelalter.
Damals, schreibt Prokofjew, waren Sklaven das Haupt-Exportgut der Rus, die ganze Wirtschaft basierte auf dem Sklavenhandel – bis die Fürsten der Rus sich mit ihren europäischen Kunden im Streit um die Kontrolle über wichtige Wasserstraßen überwarfen. Bald gab es neue Sklavenexporteure, Araber und Portugiesen verdrängten die Russen vom Markt. Im 15. Jahrhundert kam Russland dann ein kleines klimatisches Wunder zu Hilfe – die Kleine Eiszeit, oder wie man heute sagen würde: Moskaus hybrider Klima-Krieg. Die Kleine Eiszeit trieb die Nachfrage nach Pelzen in die Höhe und spülte Silber in Moskaus Kassen, der Zar wähnte sich bereits an der Spitze einer „Pelz-Supermacht“, eroberte Festungen im Baltikum und ließ die letzten Privilegien der ehemaligen Adelsrepublik Nowgorod beseitigen.
Doch die Freude währte nicht lange, Schafwolle aus England und Spanien stieg zu einer günstigen Pelzalternative für den Massenmarkt auf, die kanadischen Ureinwohner lieferten plötzlich billigere Pelze. Die russische Wirtschaft kollabierte, und mit ihr der russische Staat. Der Krim-Khan Devlet Giray brannte Moskau im Frühjahr 1571 nieder, im Baltikum folgte Niederlage auf Niederlage. Plötzlich gab sich Moskau friedlicher, schloß den ewigen Frieden mit den alten Feinden Polen und Schweden und versuchte seine Pelze statt in Europa in China loszuwerden.
Erinnert Sie das an irgendetwas? Natürlich sind derart offensichtlich gegenwartsgetriebene Geschichtsinterpretationen mit Vorsicht zu genießen, schließlich geht es um jahrhundertelange Entwicklungen – während Prokofjew westeuropäische Wolle mit Sonnenenergie und kanadische Pelze mit dem Fracking-Boom vergleicht. Dennoch, die historisch gewachsene Rohstoffabhängigkeit Russlands führt sein Narrativ recht plastisch vor Augen. Das wirft die Frage auf: Was kommt nach dem Öl? Die Ära der fossilen Kohlenwasserstoffe geht allmählich zu Ende und Russland stehen große Umwälzungen bevor.
Nun, wahrscheinlich werden die Russen dann weniger Öl exportieren und mehr arbeiten. Es ist nicht so, als gäbe es im heutigen Russland besonders viele Feiertage, das Land liegt grob im Weltdurchschnitt. Allerdings werden auf das Wochenende fallende Feiertage verschoben, was zusätzliche arbeitsfreie Tage mit sich bringt. In Kombination mit neuen Wochenenden verursachen diese Feiertage landesweite Ferien: In diesem Jahr wird die Arbeit in Russland einmal zehn Tage lang ruhen, einmal vier Tage lang und fünf Mal drei Tage lang.
Dann steht alles still, Zeitungen erscheinen nicht, Banken und Behörden haben zu. Am Schlimmsten ist es in der Zeit zwischen Silvester und Mitte Januar, wenn Millionen Russen die landesweite Feiertagesstrecke mit regulärem Urlaub kombinieren. Machen wir uns nichts vor, dann säuft das ganze Land. Die offiziellen Feiertage sind längst vorbei, trotzdem ist es unmöglich, jemanden zu erreichen oder etwas geregelt zu kriegen. Erst in der zweiten Monatshälfte kehrt das Leben nach Russland zurück, Flughäfen und Bahnhöfe füllen sich wieder und spucken zu tausenden verkaterte Bürger aus. Viele von ihnen würden sich am Liebsten gleich in den Urlaub nach dem Urlaub verabschieden.
All das kostet, klagt der Ökonom Wladislaw Inosemtzew. Russland kann sich die vielen Feiertage in Krisenzeiten nicht mehr leisten. Hätte Moskau einige Feiertage abgeschafft, dürfte sich das Wirtschaftsministerium auf ein zusätzliches BIP-Wachstum von 2 Prozent freuen, dann gäb’s in Russland allerdings immer noch bloß Nullwachstum. Dafür den Russen ihren Feiertags-Wodka wegnehmen? Gefährlich.
Was sonst noch gefährlich ist? Natürlich amerikanische schwule Promiskuitäts-Propaganda, die den guten Russen ans Leder will, genetisch natürlich. Die genetische Sicherheit des Nachwuchses ist nämlich nur dann gewährleistet, wenn ein guter Junge eine reine Jungfrau schwängert!
„Mädels, lernt bei eueren Urgroßmüttern. Es ist eine wissenschaftliche Tatsache: Ein Mädchen, das mit vielen Jungs geschlafen hat, ist eine Müllhalde, mit Beimischung von Genen ihrer Männer.“
Hey hey, nicht so schnell! Geht es hier um eine Esoteriker-Tagung? Einen Rassisten-Kongress? Die Theorie der „Telegonie“, die hier propagiert wird, gilt spätestens seit 1900 als verworfen, trotzdem wird sie als wissenschaftliche Tatsache präsentiert. Wo? In einer Schule in der Provinz Krasnodar. Dort wurde im „Gesundheitsunterricht“ einfach mal das folgende Video gezeigt – mit Freimaurern, menschenfressenden Feministinnen und… Allen Ginsberg? Hinter dem Video steckt ein obskurer Laden namens „Stiftung für den Kampf für Sittlichkeit“ (Motto: „Wir wollen den Lauf der Weltgeschichte verändern!“). Ach ja, natürlich war die Aktion für die Schulleitung völlig in Ordnung – und auch für das Bildungsministerium in Krasnodar.
Danke für die Aufmerksamkeit!
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Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin
RLW erscheint in Kooperation mit n-ost – Netzwerk für Osteuropaberichterstattung.