Heute ist der 21. März 2016, willkommen bei „Russland letzte Woche“: Diesmal eine kleine Sonderausgabe zum Thema russisch-orthodoxe Kirche.
Fast hätten wir uns Sorgen gemacht, es könnte nach dem überraschenden Abgang des kontroversen Erzpriesters Wsewolod Tschaplin ruhiger werden um das Moskauer Patriarchat. Jetzt macht der Patriarch Kirill Außenpolitik mit dem Papst und bestaunt die Pinguine der Antarktis. Fast schon cute! Wo bleibt also der wohlvertraute Wahnsinn?
Nein, natürlich hält die Kirche das Niveau, wie der Patriarch in seiner jüngsten Sonntagspredigt beweist. In der Neuzeit sei der Mensch und seine Rechte zum Kriterium der Wahrheit geworden:
„Heute reden wir über die globale Häresie der Menschenanbetung, eine neue Idolatrie, die Gott aus dem Leben des Menschen verbannt. Weltweit hat es noch nie etwas Vergleichbares gegeben. Auf die Überwindung dieser Häresie der Moderne, die apokalyptische Ereignisse zur Folge haben kann, muss sich die Kirche die Kraft ihres Schutzes, ihres Wortes, ihres Gedankens richten. Wir müssen die Orthodoxie beschützen.“
In vielen Ländern gebe es Bemühungen, das Recht aller Menschen festzuschreiben, „selbst wenn sie die sündigsten Entscheidungen treffen.“ Natürlich meint der Patriarch damit die rechtliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben, und überhaupt Entstigmatisierung nicht-heterosexueller Lebensformen.
Was selbst in den USA, dem Land der Megachurches, inzwischen anerkannt ist – die gleichgeschlechtliche Ehe – bedeutet für die russisch-orthodoxe Kirche Häresie und Menschenanbetung. Dass weltliches Recht erstmal nichts mit Theologie zu tun hat, ist Kirill egal, obwohl sinnvollerweise nur in theologischen Kontexten von Häresie gesprochen werden kann, wie der Publizist Maxim Trudoljubow richtig anmerkt.
Nun, es steht so schlimm um die „Menschenanbetung“, dass man eben von Widersprüchen in der Argumentation des Patriarchen ausgeht. Handeln, und nicht herumargumentieren, dieser Gedanke geht wohl in Kirills Kopf um. Den Kampf gegen Idolatrie will er auch mit den Mitteln der Kultur führen. Die Kirche will „guidelines“ für den Literaturunterricht in Schulen ausarbeiten. Und schon gibt es den ersten kleinen Shitstorm: Der Erzpriester Artemi Wladimirow von der Kommission des Patriarchen für „Familienfragen und Schutz der Mutterschaft und Kindheit“ will eine Reihe von russischen Klassikern aus dem Schulunterricht verbannen: Werke von Iwan Bunin, Alexander Kuprin, und – Gott habe Gnade – Anton Pawlowitsch Tschechow. „Eine Zeitbombe für unsere Kinder!“, meint Wladimirow, schließlich geht es bei den Leuchttürmen der russischen Literatur auch ums Fremdgehen und Selbstmord. Tja, und das Moskauer Patriarchat? Tat Wladimirows Vorstoß als „Privatmeinung“ ab.
Aber bevor es wieder heißt, dieser militante Atheist Pavel Lokshin schüre Hass gegen die Grundfeste des russischen Staates: Ja, selbst die russisch-orthodoxe tut Gutes! So wie der Ex-Unternehmer und Priester Andrej Mnazaganow aus Rostow, der seit vier Jahren ehemalige Häftlinge in seinem Haus unterbringt, bis sie Arbeit finden. Liebe Leserinnen und Leser, ich würde sagen: Mehr Mnazaganow, und weniger Kirill.
Danke für die Aufmerksamkeit!
Ich bitte um Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und unter pavel.lokshin@gmail.com.
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Bis nächste Woche!
Pavel Lokshin
RLW erscheint in Kooperation mit n-ost – Netzwerk für Osteuropaberichterstattung.